“Schlicht & Ergreifend“ heißt das neue und letzte Album. Wie kam es zu diesem Titel?

Thorsten Wingenfelder: Weil uns dieser Titel quasi vor die Füße gefallen ist. Und weil wir als Wingenfelder einfach schlicht und ergreifend sind. Ganz so schlicht sind wir zwar nicht, aber wir sind live keine Showband. Wingenfelder war nie ein Kunstprodukt. Nach 14 Jahren hören wir schlicht und ergreifend einfach auf. Der Titel spiegelt unser Bauchgefühl ziemlich gut wider, und wir fühlen uns wohl damit.

Kai Wingenfelder: Es ist schlicht und ergreifend das letzte Wingenfelder-Album. Der Albumtitel lässt sich gut mit unserem Abschied verbinden.

Wingenfelder hören auf. Warum?

Kai Wingenfelder: Weil es unglaublich schwierig ist, zwei Bands auf diesem Niveau gleichzeitig zu betreiben. Mit unserem ersten Album sind wir in die Top 40 eingestiegen und haben uns danach bis in die Top 10 vorgearbeitet. Das ist im Grunde eine zweite erfolgreiche Karriere. Wir wollen uns nicht aufspielen, aber das ist schon etwas Besonderes. Andere Bands wären froh, wenn sie so etwas jemals erreichen würden. Fury mischen ebenfalls in den Top 3 der Charts mit. Es ist einfach wahnsinnig viel Arbeit, und das schaffen wir nicht mehr. Zudem ist Fury wieder voll zurück. Wir wollen nichts Halbgares machen.

Obwohl nicht immer beides gleichzeitig läuft…

Kai Wingenfelder: Aber dann sehe ich zu, wie die anderen von Fury Urlaub machen, während wir unentspannt ins nächste Fury-Jahr starten. Das mache ich vielleicht drei Jahre lang mit 65, und dann bin ich tot. Manchmal sind Geschichten einfach zu Ende erzählt.

Thorsten Wingenfelder: So ein Ende hat auch Kraft. Das ist schon auch schön. Ich mag diese leichte Endpatina. Das heißt ja nicht, dass wir nichts mehr zusammen machen. Mit Fury machen wir wieder richtig viel. Fast 15 Jahre sind echt ein Brett.

Erinnern Sie sich noch daran, wie es los ging? 

Thorsten Wingenfelder: Oh ja. Anfangs dachte ich, dass wir mehr Leute von  Fury zu Wingenfelder rüberziehen könnten, weil der Sänger und die Stimme dabei sind und mein kleiner Bruder an der Gitarre. Aber wir mussten uns komplett neu hocharbeiten. Nach den ersten zwei Shows wollte ich das Projekt wieder aufgeben, weil die Konzerte einfach desaströs leer waren. Es gab wenig Perspektive, und ich dachte mir: ‚Das ist echt eine harte Nummer.‘ Aber wir haben stoisch weitergemacht, und irgendwann konnten wir davon leben. Das Album Sieben Himmel hoch war am ersten Abend bei Amazon auf Platz 1. Das war schon krass.

Anfangs war es Wingenfelder:Wingenfelder..,

Kai Wingenfelder: Vielleicht hätten wir uns „W2“ nennen sollen. „Ernie & Bert“ oder die „Wingenfelder Herzbuben“ wären auch noch frei gewesen. (lacht) Wingenfelder als ein Wort sah auf den Postern dann aber besser aus.

Was war das emotionalste Erlebnis in der Wingenfelder-Zeit?

Thorsten Wingenfelder: In 14 Jahren gab es einige emotionale Momente. Ich erinnere mich besonders an ein Konzert im Capitol in Hannover. Wir standen im Gang zur Bühne, als das Licht ausging. Das Konzert war ausverkauft und bis dahin das größte Ereignis für uns. Das Publikum begann zu kreischen, wie man es von Teenie-Konzerten kennt. Das war wirklich außergewöhnlich, da unsere Fans eigentlich eher aus einem älteren Semester stammen. Unser Bassist Volker schaute mich nur an und sagte: „Ach, so ist das also.“ In diesem Moment wussten wir, dass wir angekommen waren.

Gab es auch mal Zoff?

Kai Wingenfelder: Das ist ja ganz normal. Wir sind zwei Brüder, und wenn zwei Alpha-Schweinchen aufeinandertreffen, kracht es auch mal. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber genau das ist das Geheimnis dieser Geschichte. Die meisten guten Dinge entstehen durch Reibung. Friede, Freude, Eierkuchen gibt es bei uns nicht. Aber es war die ganze Zeit über sehr produktiv. Natürlich hatten wir auch unsere schwierigen Momente, aber insgesamt bin ich sehr zufrieden. Zwei Bands als Brüder zu haben, ist gar nicht so schlecht.

Gibt es einen besonderen Wingenfelder-Song, der Ihnen am Herzen liegt?

Kai Wingenfelder: Wir haben so viele Kinder und sind so gute Väter, da werden wir doch keins vorziehen. (lacht laut)

Ist „Perfekt“ das perfekte Brüder-Lied?

Kai Wingenfelder: Das Video ist großartig.  Obwohl es fast gestrandet wäre, aber die Kinder haben das entschieden – sie haben sich schlapp gelacht. Für uns gibt es aber andere wichtige Songs. Textlich ist „Perfekt“ nicht mein Favorit. Ich mag es, wenn ich Geschichten damit verbinde, wie bei „Der letzte Ricard von St. Malo“ oder „Der letzte Hafen“.

Es gibt natürlich viele Fans, die jetzt traurig sind, weil sie mehr bei Wingenfelder waren. Wie traurig sind Sie?

Thorsten Wingenfelder: Ich empfinde das nicht so. Ich denke auch nicht: „Jetzt stirbt etwas“, sondern für mich ist das ein ganz normaler Prozess. Ich bin vielmehr gespannt und positiv gestimmt, was danach kommt, kann aber nachvollziehen, dass der eine oder andere traurig ist. Die Abschiedstour wird voll sein, und das ist etwas Tolles. Danach werde ich einfach glücklich ins Bett fallen.

Kai Wingenfelder: Für mich ist es ein zweischneidiges Schwert. Einerseits bin ich froh, dass es vorbei ist, aber das Deutsche wird mir fehlen. Wingenfelder war immer komplett anders als Fury. Die Zeit, die ich dadurch gewinne, werde ich brauchen und genießen. Meine Familie wird es mir danken.

Wie emotional war es, mit Wingenfelder all die Jahre das Brüdersein noch intensiver zu leben?

Thorsten Wingenfelder: Es gab viele schöne Brüder-Momente, wenn wir zum Beispiel unterwegs waren und vorm Kamin Songs geschrieben haben oder in der Wüste waren und dort die Gitarre ausgepackt haben. Manchmal sprechen wir im gleichen Moment die gleichen Dinge aus, da merkt man, dass wir Brüder sind. Wir sind schon viel zusammen, sind wir aber mit Fury auch.

Geht es 2025 mit Fury richtig ab? 

Kai Wingenfelder: Auf jeden Fall. 2025 wird ein großes Fury-Jahr mit vielen großen Open-Air-Shows. Und wir schreiben schon neue Songs. Mehr werden wir aber noch nicht verraten. Seitdem wir wissen, dass DJ Ötzi und Mickie Krause große Fans von uns sind, steht uns doch eine große Zukunft bevor. (lacht)

Was entgegnen Sie eigentlich den Kritikern, die sagen: “Sie hören auf, weil sie mit Fury mehr Geld verdienen können”?

Kai Wingenfelder: Das ist richtig. (lacht) Aber das ist nicht der Grund. Das Gerede geht mir am Arsch vorbei. Deutschland ist ein Land von Neid und Missgunst. Erst wenn unsere Fans das sagen und niemand mehr zu unseren Konzerten kommt, müssen wir uns Gedanken machen. Aber die Leute, die uns kennen und unsere Musik mögen, wissen genau, wer wir sind und wie wir ticken.

Was erwartet die Fans auf der Abschiedstour?

Thorsten Wingenfelder: Viel. Wir werden alle Hits spielen und auf eine Spielzeit von über zwei Stunden kommen. Es wird eine große Party. Ein letztes Mal Wingenfelder live – kommt alle rum.