Tönning/Nordfriesland. »Wir haben jahrelang mit immer neuen Maßnahmen versucht, alle vier Standorte des Klinikums zu erhalten und weiterzuentwickeln, aber jetzt nähern wir uns dem Ende unserer Möglichkeiten. Wenn wir die medizinische Grund- und Regelversorgung im Kreisgebiet sichern wollen, müssen wir unsere Strategie verändern«, stellt Landrat Dieter Harrsen fest. Um zunächst den Ist-Zustand genau zu analysieren, wurde der Diplom-Kaufmann Karl-Heinz Vorwig, der bis zum 30. September 2015 Kaufmännischer Vorstand der DIAKO Flensburg war, beauftragt, die Standorte des Klinikums in medizinischer, baulicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu untersuchen und Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Seit Bestehen des Kreises lag seine Priorität darauf, die vier Krankenhaus-Standorte Husum, Niebüll, Tönning und Wyk auf Föhr zu erhalten, um die flächendeckende Grund- und Regelversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Um die Angebotspalette über die alleinige Grund-und Regelversorgung hinaus zu verbreitern und damit die Wirtschaftlichkeit des gesamten Hauses zu erhöhen, hat das Klinikum in den letzten Jahren eine Reihe spezieller Fachabteilungen aufgebaut. Bund will Abbau von Klinikbetten Die vom Bund gesetzten Rahmenbedingungen sind jedoch seit Jahrzehnten darauf ausgerichtet, Krankenhausbetten in Deutschland abzubauen und die Spezialisierung von Kliniken zu fördern. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass etwa eine Klinik, die 500 Hüftoperationen pro Jahr durchführt, professioneller und kostengünstiger arbeiten kann als eine, die nur auf zehn Operationen dieser Art kommt. »Dieses Prinzip führt aber zu einer Benachteiligung von allgemeinversorgenden Krankenhäusern in ländlichen Räumen, denn diese bringen es selbstverständlich in keinem Gebiet der Medizin auf hunderte gleichartiger Behandlungen im Jahr«, kritisiert Landrat Dieter Harrsen. Dazu kommt, dass medizinische Leistungen in Schleswig-Holstein seit Einführung des Fallpauschalensystems 2004 deutlich schlechter honoriert werden als in den anderen Bundesländern. Diese Politik hat dazu beigetragen, dass von 1991 bis 2015 bereits über 330 Kliniken in Deutschland geschlossen wurden. Standort Tönning Gutachter Karl-Heinz Vorwig schlägt nun in einer Art »Masterplan« ein Paket von Maßnahmen vor, das auch in Zukunft die allgemeine Krankenhausversorgung in Nordfriesland in guter Qualität sichern und die Wirtschaftlichkeit deutlich verbessern soll. So sollen in Tönning in Zukunft Patienten vor allem in einem medizinischen Versorgungszentrum ambulant behandelt werden können. Vorwig rät dem Kreis, die derzeitige stationäre Versorgung in der kleinsten nordfriesischen Festlandsklinik einzustellen: Mit nur 29 Betten und 2.500 stationär aufgenommenen Erkrankten könne das Tönninger Klinikum aufgrund seiner Fixkostensituation nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Die Sicherstellung der Grund- und Regelversorgung gelingt in Eiderstedt schon seit Jahren nur, weil viele Patienten sich ins Husumer Klinikum begeben. Standort Niebüll In Niebüll sieht der Gutachter einen Bedarf für den Ausbau der geriatrischen Kapazitäten. Er plädiert für den Erhalt einer inneren Abteilung und eine Ergänzung durch ein medizinisches Versorgungszentrum in Kooperation mit der DIAKO. Die dortige Chirurgie soll in eine Tages-Chirurgie mit Anschluss an ein medizinisches Versorgungszentrum umgewandelt werden. Die gynäkologische Abteilung mit der Geburtshilfe sowie die Hals-Nasen-Ohren-Abteilung sollten nach seinem Ratschlag jedoch geschlossen werden. Standort Husum Positive Perspektiven sieht der Gutachter vor allem für Husum als den größten der vier Standorte: Er soll die in Tönning und Niebüll wegfallenden Angebote, insbesondere in der Geburtshilfe, aufnehmen. Doch auch hier gibt es Einschränkungen: Vorwig rät, die Husumer Neurochirurgie- und die Physiotherapie-Abteilung zu überprüfen und bei nicht veränderten Defiziten zu schließen. Auch in anderen Bereichen sieht er ein Potenzial für Optimierungen. Standort Wyk auf Föhr Für die kleinste Kreis-Klinik in Wyk auf Föhr mit ihren nur 18 Betten schlägt der Gutachter keine Veränderungen vor: Solange die Krankenkassen den seit langem gezahlten jährlichen Sicherstellungszuschlag aufrechterhalten, könne auch der Standort aufrechterhalten werden. Noch ist nichts entschieden »Auch für Niebüll, Husum und Tönning ist noch nichts entschieden. Doch allen Beteiligten ist klar, dass einige von Herrn Vorwigs Vorschlägen zu einem Aufschrei in den betroffenen Regionen führen werden«, sagt Kreispräsident Heinz Maurus. Welche Handlungsempfehlungen umgesetzt werden, soll in diesem Herbst in den Kreisgremien politisch diskutiert und beschlossen werden. Letzte Chance zum Kurswechsel »Eines muss uns allen bewusst sein: Wir können die Rahmenbedingungen nicht verändern. Unser Klinikum hat seit 2007 fast zwölf Millionen Euro Defizit eingefahren. Das Eigenkapital ist von 24 auf 14 Millionen Euro gesunken. Wenn wir jetzt nicht den Mut zu klaren Entscheidungen finden, muss das Klinikum im nächsten Jahr Konkurs anmelden. Wir haben jetzt noch eine letzte Chance zu einem ›Kurswechsel‹ und damit dazu, uns im Kreis und der Region neu aufzustellen. Wir wollen auch in Zukunft eine gute allgemeine Krankenhausversorgung bei uns sicherstellen. Dazu müssen allerdings alle bereit sein, die notwendigen Maßnahmen umzusetzen und sinnvolle Kooperationen mit Nachbarhäusern einzugehen«, betonen Maurus und Harrsen. Als einige Beispiele für denkbare Kooperationsfelder mit der DIAKO nennen sie die Krankenhausverpflegung, die Sterilgutversorgung, die Apotheke, die Pathologie, die Unfallchirurgie, die Orthopädie und die Geriatrie. Abstimmung mit Land und Krankenkassen Dieter Harrsen und Heinz Maurus haben in den letzten Wochen zahlreiche Gespräche mit dem Sozialministerium des Landes und den Krankenkassen geführt, mit denen notwendige Umstrukturierungen sowie mögliche Kooperationen, zum Beispiel mit der DIAKO, abgestimmt werden müssen. Ihre Ergebnisse werden in die politischen Beratungen einfließen. Keine betriebsbedingten Kündigungen »Wir werden sehr darauf achten, dass die erforderlichen Veränderungen nicht zu betriebsbedingten Kündigungen führen. In allen vier Standorten des Klinikums Nordfriesland arbeiten hochqualifizierte und hochmotivierte Frauen und Männer. Niemand braucht Angst um seinen Arbeitsplatz zu haben«, hebt Dieter Harrsen hervor. Zeitplan für Beratungen Der weitere Zeitplan sieht folgende Beratungen in den politischen Gremien vor: 16. November: Hauptausschuss, 17. November: Finanz- und Bauausschuss, 19. November: Arbeits- und Sozialausschuss, 30. November: Hauptausschuss, 11. Dezember: Kreistag.